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Forschungsprojekte September 2022

Olympia '72 – Die Dirndl der Siegerehrungshostessen

Vierzehn Dirndl für Olympia '72
Ganz München und Bayern erinnert und feiert heuer das 50. Jubiläum der Olympischen Spiele von 1972, die als sportlicher wie ideeller und gesellschaftlicher Markstein in die (Stadt)Geschichte eingingen.
Auch das Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern widmet sich diesem denkwürdigen Ereignis, indem es die Garderobe der damaligen Siegerhostessen in den Mittelpunkt eines neuen Forschungsprojekts stellt.
Weitreichend publiziert in Presse und auf Plakaten, haben sich vor allem die hellblauen Dirndl der rund 1.500 Olympia-Hostessen in unser kollektives Bildgedächtnis eingeschrieben. Weniger bekannt ist dagegen das Erscheinungsbild der damaligen sogenannten Siegerehrungshostessen (jene, die die Medaillen an die Olympioniken überreichten). Dass diese eine andere Tracht trugen, ist kaum thematisiert.
Der Auftrag zur Fertigung der Dirndl mit regionalem Charme ebendieser Hostessen ging auf Anraten der Ehefrau von Willi Daume (1913-1996), Leiter des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele 1972, an die Trachtenschneiderin Brigitte Bogenhauser-Thoma aus Riedering.1
Elf bayerische Dirndl sollten für die Siegerehrungen in München entworfen werden. Dazu kamen drei Trachten für die Segelwettbewerbe in Kiel. Brigitte Bogenhauser-Thoma erinnert sich an die Entstehungsgeschichte der Entwürfe: »Da dachte ich, fangen wir halt im äußersten Winkel, in Berchtesgaden an und dann ging’s quer durch Bayern bis wir schließlich in Unterfranken landeten. (…) Im buchstäblich letzten Moment kam noch das Kieler Olympische Komitee an uns heran (…). So entstanden noch dreierlei Trachten, nämlich aus der Probstei, den Vierlanden und der Insel Föhr, die nordisch herb, aber doch bildschön geworden sind.«2

Eine neue Tracht
Eine neue Tracht aus der bayerischen und schleswig-holsteinischen Bekleidung zu schaffen war der Ansatz von Bogenhauser-Thoma. Bereits im Jahr 1938 hatte sie ihre Gesellenprüfung als Schneiderin in München abgelegt. Danach zog sie ein Praktikum an das Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck, das ab 1939 auch die »Mittelstelle Deutsche Tracht« beheimatete. Die Zeit mit Gudrun Pesendorfer (1895-1982), zwischen 1938 und 1945 geschäftsführende Museumsleiterin, hat Bogenhauser-Thoma in ihrer Arbeit stark beeinflusst. Die »Pesendorfer-Schule« folgt alten Vorbildern und lässt daraus neue tragbare Trachten entstehen, ohne diese nachzuahmen. Diesen Faden greift Bogenhauser-Thoma in ihren Entwürfen auf. Der zeit- und ideengeschichtlichen Kontext zum Nationalsozialismus, in dem insbesondere Gudrun Pesendorfer verortet war, wurde kürzlich erst von einem Forschungsprojekt der Universität Innsbruck und des Tiroler Volkskunstmuseums aufgearbeitet.3 Diese Recherchen stellen einen wichtigen Aspekt heraus, der nicht unbeachtet bleiben darf. Gleichermaßen gilt, dass die erneuerten Trachten, die Bogenhauser-Thoma für die olympischen Spiele von 1972 entwarf, unter den Vorzeichen der novellierten, weltoffenen und pazifistischen Bundesrepublik Gestalt annahmen und sich mit dieser Geisteshaltung verbinden.

Der Nachlass Bogenhauser-Thoma im Zentrum für Trachtengewand
Unsere Sammlung aus dem Nachlass der Familie Bogenhauser-Thoma umfasst aktuell neun der insgesamt 14 Dirndl der Siegerehrungshostessen von 1972, darunter die drei norddeutschen Trachten, sowie weitreichende Geschäftsunterlagen, Zeichnungen und Schnittmuster aus dem Trachten-Heimatwerk Bogenhauser-Thoma. Dazu kommen drei weitere Ensembles, die wohl in späteren Jahren auf Grundlage der Olympia-Dirndl entstanden sind.
Diesen Nachlass der Riederinger Schneiderin Brigitte Bogenhauser-Thoma aufzuarbeiten, ist Ziel des Forschungsprojekts. In Zuge dessen sollen die Vorbilder für diese Trachtenerneuerung sowie die Geschichte des Dirndls und der diesen Kleidern innewohnende Regionalcharakter beleuchtet werden. Des Weiteren werden die Konstruktion der Kleider und die Stoffauswahl sowie die späteren Adaptionen untersucht.

Präsentiert werden die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen einer Ausstellung im Forum Heimat & Kultur in Benediktbeuern, flankiert von einer Publikation und einem umfänglichen Begleitprogramm.

Sie können unsere Forschungen unterstützen!
Für dieses Forschungsprojekt sind wir auch auf Ihre Hilfe angewiesen: Kannten Sie das Trachten-Heimatwerk Bogenhauser-Thoma? Erinnern Sie sich an die Präsentation der Dirndl zu den Olympischen Spielen? Waren Sie gar selbst Siegerehrungshostess und besitzen noch ein Dirndl? Dann melden Sie sich gern bei uns unter folgendem Link. Wir freuen uns auf Ihre Geschichten!


Fußnoten:

1 vgl. Brigitte Bogenhauser-Thoma: »Die Tracht und ihre Herstellung heute«, in: »Schönere Heimat – Erbe und Gegenwart«, Jg. 60-63, München 1971-1974, hrsg. vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege e.V., S. 442-444.

2 ebd.

3 https://www.uibk.ac.at/geschichte-ethnologie/institut/ee/trachten.html [zuletzt aufgerufen am 11.08.2022]


Bildunterschriften:
Farb-Fotografie: Siegerehrungshostessen im Dirndl »Fränkische Schweiz«, 1972, Foto Werner Krämer, ©Arno Krämer
Schwarz-Weiß-Fotografie: Siegerehrungshostessen aus Kiel: v.l. Dirndl »Föhr«, »Vierlande« und »Probstei«, 1972, Stadtarchiv Kiel, 53.721, Friedrich Magnussen

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