Einwohnerwehr-Lied
Eine handfeste Verbindung von Gebirgstracht und Deutschtümelei manifestiert sich vor der Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten: Im Mai 1919 beschloss die Regierung des Freistaats Bayern die landesweite Organisation von Einwohnerwehren, die sich unter anderem aus den ehemaligen paramilitärischen Freicorps rekrutierten. Sie präsentieren sich auf allen historischen Fotografien mehrheitlich in Gebirgstracht. Die Einwohnerwehr Chiemgau verlegte 1920 ein Einwohnerwehr-Lied, dessen Text revanchistischer nicht sein könnte. Den Umschlag des Liedblattes ziert ein stämmiger Bursche in Gebirgstracht. Gestützt auf das Mauser-Gewehr Modell 98 trotzt er kühnen Blicks den Gefahren undeutscher Machenschaften. Im Hintergrund sieht man Bauersleute auf ihrer frisch umgebrochenen Ackerscholle. Hinter der Maske von Patriotismus und Traditionsliebe ist die ideologische oder politische Vereinnahmung von Tracht oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen. So zeigt auch der Text im Liedblatt unmissverständlich, dass die Tracht auf dem Deckblatt manches Mal nur den schönen Schein wahrt: »Warum heiß ich deutsch, ist so kriegerisch mein Sinn, … weil treu ich vollführt, was Notwehr gegen Feindeslist hat diktiert …« (...) »Er betet zu Gott … und wirket und werkt sich sein neues Kleid …«
Der Existenz der Einwohnerwehren war im Übrigen nur eine kurze Dauer beschert, bereits im Juni 1921 wurden sie aufgelöst. (AKW)
Abbildung:
»Einwohnerwehr-Lied«
Liedblatt im Verlag der Einwohnerwehr Chiemgau, 1920
Sammlung Bezirk Oberbayern | Zentrum für Trachtengewand
Ka·bi·nett·stück
Substantiv [das]
1. sehr geschicktes, erfolgreiches Handeln
2. besonders schöner, wertvoller Gegenstand
Das sogenannte Kabinettstück kann entweder ein ungewöhnlich geschicktes und erfolgreiches Handeln sein oder ein besonders schöner und wertvoller Gegenstand. Die zweite Definition trifft auf abertausende Exponate aus den Sammlungen des Zentrums für Trachtengewand zu. Ob Kleidungsstücke, Accessoires, Fotografien, Grafiken oder Bücher – in Benediktbeuern besitzt der Bezirk Oberbayern einen Schatz aus über drei Jahrhunderten. Um einen Einblick in die reichen Bestände zu geben, stellen wir jeden Monat ein Kabinettstück vor. Dabei können Materialien, die Seltenheit, das Muster oder die Geschichte hinter den Originalstücken im Vordergrund stehen.
Die Digitalisierung und Veröffentlichung unserer Sammlungen im Netz ist eine groß angelegte Arbeit, die noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Einen Vorgeschmack auf dieses Zukunftsprojekt bietet das monatlich präsentierte Kabinettstück.