Blaues Wunder
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts malte Ludwig Neureuther (1774–1832) eine Frau in einer blauen Jacke aus dem Werdenfelser Land. Mit der Schenkung aus dem Museum Werdenfels kam eine ebensolche blaue Seidenjacke in unsere Sammlung: „eine ganz auf Figur gearbeitete Jacke (…), die mit ihrem Seidenglanz und ihrer Bänderverzierung noch fast rokokohaft erscheint."[1]
Bereits im Barock kamen in adligen Kreisen unten spitzzulaufende Mieder in Mode. Durch die darauffolgende Kleidermode im Rokoko, in der das Kleid wie eine Art Mantel über das Mieder bzw. den Vorstecker getragen wurden, manifestiert sich das spitz-nach-unten zulaufende Element in der Mode. Verziert wurden diese Mieder, Stecker und Roben oftmals mit zarten Seidenschleifen, wie wir es auf zahlreichen Gemälden vom französischen Hof kennen. Gleichzeitig war im spielerischen Rokoko nicht nur die Schleife beliebt, sondern auch helle Blautöne. Die Kombination aus diesen drei Elementen lässt uns bei der Werdenfelser Frauenjacke sofort an die leichtfüßige und feinsinnige Zeit des Rokokos und seine vornehm-zarte Sinnlichkeit denken. (LSR)
[1] Nina Gockerell und Helene Kostenzer, Alte Trachten aus Oberbayern und Tirol, Rosenheim 1976, S. 34.
Abbildung links:
Frauenjacke, Anfang 19. Jahrhundert, Oberbayern (Werdenfelser Land), Seide
Fotografie Dirk Tacke
Sammlung Bezirk Oberbayern, Zentrum für Trachtengewand
Abbildung rechts:
Ludwig Neureuther, "Werdenfels", um 1800
Ka·bi·nett·stück
Substantiv [das]
1. sehr geschicktes, erfolgreiches Handeln
2. besonders schöner, wertvoller Gegenstand
Das sogenannte Kabinettstück kann entweder ein ungewöhnlich geschicktes und erfolgreiches Handeln sein oder ein besonders schöner und wertvoller Gegenstand. Die zweite Definition trifft auf abertausende Exponate aus den Sammlungen des Zentrums für Trachtengewand. Ob Kleidungsstücke, Accessoires, Fotografien, Grafiken oder Bücher – in Benediktbeuern besitzt der Bezirk Oberbayern einen Schatz aus über drei Jahrhunderten. Um einen Einblick in die reichen Bestände zu geben, stellen wir jeden Monat ein Kabinettstück vor. Dabei können Materialien, die Seltenheit, das Muster oder die Geschichte hinter den Originalstücken im Vordergrund stehen.
Die Digitalisierung und die Veröffentlichung der Sammlungen des Zentrums für Trachtengewand im Netz ist eine groß angelegte Arbeit, die sich noch über viele Jahre erstrecken wird. Einen Vorgeschmack auf dieses Zukunftsprojekt bietet unser monatlich erscheinendes Kabinettstück.