Seide, Wolle, Leder, Leinen und etwas Gold
Die Kleidungsstücke der festlichen bäuerlichen Mode in Oberbayern wurden vor 200 Jahren nicht ausschließlich aus Leinen, Wolle und Leder gefertigt; sie waren auch nicht überwiegend dunkelfarbig, grob zusammengenäht oder primitiv geschnitten. Dies belegen viele der erhaltenen Textilien und Accessoires.
Anhand von Exponaten aus unserer Sammlung, die dem kolorierten Druck entsprechen, können wir die Materialität des Gewands der »Bauersfrau aus der Gegend an der Altz« ziemlich sicher beschreiben: Das blau gestreifte seidene Mieder ist mit goldfarbenen Posamenten besetzt, über der Schulter sind die Träger mit einer roten Seidenschleife zusammengebunden. Der rötlichbraune Rock ist in feine Stehfalten gelegt und wahrscheinlich aus dichtem Wollstoff gefertigt. Über dem Rock liegt eine gestreifte seidene Schürze (das Fürtuch), deren Bänder vorne mittig gebunden sind. Unter ihrem Mieder trägt die Bäuerin ein dichtgefälteltes Leinenhemd; um ihren Hals ist ein seidenes Tuch gewunden. In den Händen hält sie wohl eine kurze gemusterte Schoßjacke. Die weißen Strümpfe stecken in flachen, weit ausgeschnittenen Lederschuhen. Unter dem Hut ist der breite Spitzenvorstoß einer Haube zu erkennen. Die sogenannten Bandlhüte haben ihren modischen Ursprung im 18. Jahrhundert. Sie verdanken ihren Namen den Seidenbändern, die rund um den Gupf (Bereich oberhalb der Krempe) gewunden sind und mit denen die Unterseite der Krempe in Falten ausgeschlagen ist. Die Bänder sind in der Regel nicht aufgenäht, sondern mit Dutzenden von Nadeln befestigt und bilden auf der Rückseite der Hüte eine Art Schleife, deren Enden über die Krempe in den Rücken reichen.
Selbstverständlich hatten um 1830 nicht alle Frauen ein solch reiches und teures Gewand und es gab viele Abstufungen in Qualität und Auszier. Gleichwohl versuchten sich Arm wie Reich zumindest an den Sonn- und Festtagen so prachtvoll wie eben möglich zu kleiden. (AKW)
Abbildung:
Felix Joseph von Lipowsky, »Bauersfrau aus der Gegend an der Altz. Paysanne des environs rivière Altz«.
Altkolorierte Lithografie, um 1830, aus: Sammlung Bayerischer National-Costume von Felix Joseph von Lipowsky, gedruckt bei I.M. Hermann, München.
Sammlung Bezirk Oberbayern, Zentrum für Trachtengewand
Ka·bi·nett·stück
Substantiv [das]
1. sehr geschicktes, erfolgreiches Handeln
2. besonders schöner, wertvoller Gegenstand
Das sogenannte Kabinettstück kann entweder ein ungewöhnlich geschicktes und erfolgreiches Handeln sein oder ein besonders schöner und wertvoller Gegenstand. Die zweite Definition trifft auf abertausende Exponate aus den Sammlungen des Zentrums für Trachtegewand. Ob Kleidungsstücke, Accessoires, Fotografien, Grafiken oder Bücher – in Benediktbeuern besitzt der Bezirk Oberbayern einen Schatz aus über drei Jahrhunderten. Um einen Einblick in die reichen Bestände zu geben, stellen wir jeden Monat ein Kabinettstück vor. Dabei können Materialien, die Seltenheit, das Muster oder die Geschichte hinter den Originalstücken im Vordergrund stehen.
Die Digitalisierung und die Veröffentlichung der Sammlungen des Zentrums für Trachtengewand im Netz ist eine groß angelegte Arbeit, die sich noch über viele Jahre erstrecken wird. Einen Vorgeschmack auf dieses Zukunftsprojekt bietet unser monatlich erscheinendes Kabinettstück.