Die blaue Weste
Unter den zahlreichen bemerkenswerten Neuzugängen unserer Sammlung sei hier beispielhaft auf die blaue Seidenweste von Lukas Danner verwiesen. Der Nadelmeister wurde 1828 in Schrobenhausen geboren und verstarb 1870 in Tittmoning. Bezeichnend für das modische Auftreten des jungen Schneiders sind, neben der biedermeierlichen Frisur, der schwarze Rock und die blaue Seidenweste im neuesten Schnitt. Ihr Stoff mit dem eingewebten schwarzen Blumenmuster wurde extra für die Vorderteile von Westen gewebt. Diese Webtradition stammt noch aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Das Besondere an dieser Schenkung ist, dass sowohl das Portrait von Lukas Danner, die originale Weste, die auf dem Portrait zu sehen ist, sowie eine Vielzahl von Archivalien, die seine Lebensgeschichte dokumentieren, ihren Weg zu uns fanden. Portraits und Lebensgeschichten sind aus adligen und großbürgerlichen Gesellschaftsschichten relativ häufig überliefert – aus dem bäuerlichen oder handwerklichen Milieu dagegen sehr selten. Dieser Umstand macht das Konvolut »Danner« so außergewöhnlich. Zu diesem zählen die Lebensdaten seiner Verwandten, seine Geburtsurkunde samt Taufschein, Schulzeugnisse, Impfscheine, die »Conzessions-Urkunde«, und Verlassenschafts-Inventare. Der Lehrbrief für das Nadlergewerk, datiert aus dem Jahr 1843, zeigt an, dass Lukas Danner im Alter von 12 Jahren bei Nadlermeister Hitl in Schrobenhausen einstand, und seine Lehrzeit mit 15 Jahren beendet.
Beim Lesen der Dokumente eröffnen sich höchst interessante Einblicke in die Lebensumstände jener Zeit. So steht beispielweise hinter der Information, dass das Baby noch am Tag seiner Geburt auf den Namen Lukas getauft wurde, die Vorsichtsmaßnahme, Kinder so schnell wie möglich christlich zu taufen. In Zeiten hoher Kindersterblichkeit sollte kein »Heidenkind« die Welt verlassen. Der »Schutzpocken-Impfungs-Schein« aus dem Jahr 1829 erzählt von einer brandgefährlichen viralen Infektionskrankheit, die unsere Vorfahren auch als »Blattern« bezeichneten. Wer weiß heute noch, dass bereits am 26. August 1807 in Bayern als weltweit erstem Land die Impfpflicht eingeführt wurde? In den Verlassenschafts-Inventaren wurden nach dem Tod eines Menschen seine gesamten Besitztümer aufgelistet. Neben größeren Gegenständen wie Bettstätten oder Stühlen sind darin minutiös einzelne Kochgeschirre und sogar Stoffreste aufgeführt. Dank dieser Listen war jeder Gegenstand dokumentiert und das Erbe konnte gerecht verteilt werden. Diese Inventare geben uns heute Aufschluss, was Menschen früher besessen haben, welche Kleidung sie trugen und wie sie ihre Wohnungen einrichteten.