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Dezember 2023

Ein farbenfrohes Erbe: Zur Geschichte und Tracht der Wischauer Sprachinsel

Im Juli 2023 besuchten Alexander Karl Wandinger und Lea Sophie Rodenberg die Gemeinschaft Wischauer Sprachinsel e.V. in Aalen-Fachsenfeld. Die interessanten Begegnungen, Gespräche und eindrucksvollen Archivalien bestätigten abermals, wie sehr das Interesse für Geschichte(n) und wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zusammenhänge für ein tiefes Verständnis von Kleidungskultur zur Sache tun. In diesem Fall ist es die Geschichte deutscher Auswanderung nach Böhmen und Mähren (heute Gebiete der Tschechischen Republik), auf die dieser Beitrag über die Tracht der Wischauer Sprachinsel immerhin in Auszügen eingehen wird.

Sachsen, Bayern und Schwaben in Böhmen und Mähren
Ein Höhepunkt der zunächst vor allem landwirtschaftlich motivierten deutschen Kolonisierung der weitläufigen, unbesiedelten böhmisch-mährischen Region ist für das 12. und 13. Jahrhundert belegt: mit Einwanderungsbewegungen aus Regionen wie Sachsen, Bayern und Schwaben. Den Neuankömmlingen winkten durch das damals geltende deutsche Siedlerrecht zahlreiche Vorteile wie zum Beispiel zehn Jahre Steuerfreiheit. Die rund 100 Städte, die bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts in Böhmen und Mähren entstanden, wurden fast alle unter deutschem Einfluss und nach deutschem Recht gegründet. Während dieser Epoche gehörte das gesamte Gebiet verschiedenen Klöstern und Ordensgemeinschaften. Das deutsche Sprachgebiet um Wischau umfasste damals etwa 60 Ortschaften. Zahlreiche Kriege führten schließlich zur Aufspaltung dieses Gebiets.

Oben, unten ... einzigartig
Die ehemals deutsche Sprachinsel bei Wischau, eine kleine Region etwa 30 km östlich von Brünn (tschechisch Brno), teilte sich in einen »oberen« und einen »unteren« Teil, und setzte sich 1945 aus acht Dörfern zusammen. Ihr Name leitet sich von der nahe gelegenen Stadt Wischau ab, die jedoch nicht direkt zur Sprachinsel gehörte.
Die »Wischauer Sprachinsel« zeichnete sich durch ihre einzigartigen Trachten aus, die als wichtiges kulturelles Merkmal dazu diente, die Identität der Gemeinschaft zu bewahren. Frauen trugen farbenprächtige und aufwendige Trachten, die je nach Anlass variierten – Männer eine einfachere, dabei aber sehr charakteristische Tracht.
Die Trachten in der unteren Sprachinsel wurden bereits in den 1920er-Jahren im Alltagsleben durch städtische Kleidung ersetzt. Lediglich an Festtagen und bei Umzügen zeigten sich die Frauen in ihrer Tracht, die eher der Gegend um Brünn (der Brünner Sprachinsel) zuzuordnen war.
Anders in der überwiegend bäuerlich geprägten oberen Sprachinsel: Hier trug man weiterhin die traditionelle Tracht. »Von der Wiege bis zur Bahre« war diese die ausschließliche Bekleidung der Menschen und aufgrund der Abgeschlossenheit gegenüber dem tschechischen Umland nur wenigen Einflüssen ausgesetzt. So konnte sich hier eine Tracht erhalten, wie sie zu dieser Zeit fast nirgends mehr in dieser Vielfalt anzutreffen war.

Schlicht und ergreifend: die Männertracht
Die Männertracht in der Wischauer Sprachinsel bestand aus einem schlichten weißen Hemd, einer meistens aus bedrucktem, rotgrundigem Samt gefertigten Weste mit zweireihigen Messingknöpfen und einer schwarzen langen Hose, die aus Cord oder Tuch gefertigt war. Darüber wurde eine Jacke aus schwarzem Wollstoff oder Leinen getragen, im Winter eine pelzgefütterte Wolljacke. Auf dem Kopf trugen die Männer eine grüne Samtkappe und den schwarzen Wollhut. Bei festlichen Anlässen wurden handgestickte Hosenträger angelegt und der Hut oder die Kappe mit bunten Sträußen geschmückt. Als Schuhwerk dienten handgefertigte Lederstiefel.

Farbenfroh und detailliert: die Frauentracht
Die Frauentracht in der Wischauer Sprachinsel war farbenfroher und detaillierter gearbeitet als die einfachere Männertracht. Sie zeichnete sich durch ihre Vielfalt aus, die sozialen Status und Alter der Trägerinnen ablesbar machte.
Das Kopftuch war ein zentrales Element der Frauentracht, das von allen Frauen getragen wurde. Die Ärmel der kurzärmligen Bluse (»Miaderl«) waren oft aufwendig am Ärmelabschluss mit alten, überlieferten Kreuzstich-Mustern in schwarz, rot oder orange bestickt. Unter ihren Oberröcken trugen die Frauen in der Regel bis zu vier Unterröcke, alle in kleinen Plisseefalten gelegt. Der Festtagsrock war steif und gefältelt, oft aus glänzendem schwarzem Leinen. Diese Röcke erlaubten jedoch kein Sitzen und wurden nur zu kirchlichen Anlässen oder besonderen Festlichkeiten getragen. Die Festtagsschürzen waren weiß, am unteren Rand bestickt und mit Spitzen verziert. Der Schürzenbund wies aufwendige Muster auf, und die Schürzenbänder wurden vorne gebunden und hingen dekorativ über der Schürze. Dazu trugen die Frauen normalerweise rote oder orangefarbene Strümpfe und schwarze Schuhe mit grünen Steppmustern. Die Schuhe wurden vom örtlichen Schuster hergestellt und waren mit blauen Schleifen gebunden.

Beileibe ein Schatz
Die Wirren des Zweiten Weltkriegs mit faschistischem Terror, territorialen Einverleibungen und Neuordnungen führte ab 1946 zu der Vertreibung der Deutschen aus der Sprachinsel. In jeder Gemeinde wurden Familien erfasst. Nach einer kurzen Zeit in Sammellagern wurden diese nach Brünn-Malomirschitz verlegt und von dort in Transporten nach Deutschland überführt. Viele von ihnen kamen in Bayern an. Weitere Transporte erfolgten 1947 und 1948. Insgesamt wurden über 2 500 Menschen ausgesiedelt. Auf diesem weiten Weg durften anfangs nur 50 kg Gepäck mitgenommen werden, später war die Menge nicht mehr reglementiert. Ein wichtiger Teil davon war die Tracht. Trotz der Vertreibung blieb damit ein Großteil dieser Trachten erhalten, da sie von der gesamten Bevölkerung am Leib getragen wurden.
In einer ansonsten über weite Strecken belasteten Geschichte verdanken wir dieser Notmaßnahme heute die Begegnung mit einer besonderen, wenig bekannten Tracht und Kleidungskultur.

Jeden 3. Dienstag im Monat (außer im Januar und August) ist das Informations- und Begegnungszentrum (IBZ) der Gemeinschaft Wischauer Sprachinsel e.V. in Aalen-Fachsenfeld geöffnet.
Mehr Informationen unter https://www.wischau.de/

Abbildungen
links: Bunte Stickereien abgetrennt vom Schürzenbund, Informations- und Begegnungszentrum der Gemeinschaft Wischauer Sprachinsel e.V., Aalen-Fachsenfeld
rechts: Ausstellung im Informations- und Begegnungszentrum der Gemeinschaft Wischauer Sprachinsel e.V., Aalen-Fachsenfeld

Fotos: Alexander Karl Wandinger, Lea Sophie Rodenberg, Bezirk Oberbayern | Zentrum für Trachtengewand

Quellen
Josef Hanika, Lebendige Tracht. Zu den Bildern aus der ehem. Wischauer Sprachinsel in Mähren, aus: Schönere Heimat 44, 1955.
Christine Legner, Beschreibung der Tracht aus der Wischauer Sprachinsel, https://www.wischau.de/seite/526973/wischauer-tracht.html [zuletzt aufgerufen am 17.10.2023]

Kristýna Taušová, Die Geschichte der Wischauer Sprachinsel und ihrer Bewohner gestern und heute, Diplomarbeit 2008 an der Masaryk-Universität in Brünn.

O.A., Die Obere und die Untere Sprachinsel, https://www.wischau.de/seite/530944/die-obere-und- die-untere-sprachinsel.html [zuletzt aufgerufen am 17.10.2023]

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